LAND OHNE ECHO
Constanze Musterer
Verstörend wirkt die Gleichberechtigung von Natur, Tier und Mensch, surreal die Kompositionen. Die Gemälde von Kerstin Serz leiten den Blick auf merkwürdige Situationen, ungeklärte Beziehungen und romantische, intime Momente, deren aufkommende Lieblichkeit die Künstlerin jedoch bricht. Der Anschein dieser figurativen Malerei trügt, dass der Betrachter hier bequem einer Narration folgen könne. Im Gegenteil, es gibt keinen Widerhall des Geschehens, jede gefällte Aussage endet in einem Fragezeichen oder bleibt allein zurück in einem „Land ohne Echo“.
Gleich einem Filmstill setzt Kerstin Serz in ihren Gemälden den Fokus genau auf jenen Moment, der eine Vieldeutigkeit, eine Ambivalenz spiegelt. Abstrakte Bildelemente brechen dabei die gegenständliche Malerei, sie bilden einen Denkraum und werden doch gleichzeitig gegenständlich interpretiert. So liegt das Weiterdenken des Moments allein beim Betrachter und die Deutung dessen ist wie so oft reine Projektion: Das Mädchen mit einem Messer in der Hand könnte der Beginn eines Horrorszenarios sein und doch ist es nur ein Mädchen mit einem Messer in der Hand beim Blumenschneiden. Der Käfer im Nacken könnte zum Todesbiss ansetzen und doch ist hier die vielleicht bisher unerkannte Empathie eines Käfer gezeigt. Die Bildelemente widersprechen einander, während die Künstlerin die realen Dimensionen auflöst. So suggeriert das Bildgeschehen Bedrohung und Ohnmacht oder stellt einfach ein anderes Miteinander vor.
Der Mensch scheint hier insofern aus dem Mittelpunkt seines Anthropozän gerückt, als dass die ihn umgebenden Dinge, Flora und Fauna ihre Eigenleben fortentwickeln und neue Daseinsrollen einnehmen, woraus ein anderes System von Beziehungsgeflecht entsteht. Ein nicht hierarchischer Kosmos, dessen Spannungen, libidinöse Konstellationen und Besetzungen jedoch permanent und offenbar sind. Die Malereien von Kerstin Serz konfrontieren uns mit den Ambivalenzen von Verletzbarkeit und Kraft, Macht und Ohnmacht, Angst und Vertrauen. Fragen oder Entscheidungen, die alle Beziehungen in sich tragen.
MAGNOLIENKUSS UND FLÜGELZWEIG
Regine Bungartz
Die Bildarbeiten von Kerstin Serz produzieren Komplexität auf verschiedenen Ebenen. Sie faszinieren und irritieren, erstaunen, überfluten und benennen Beziehungen von Körpern, Pflanzen, Tieren und Farbräumen. Verwischtes, Hervorstechendes und Verborgenes korreliert miteinander. Erkennbares wird umfangen, begrenzt und gestört, verbunden Gehöriges wird abgeschnitten, Kontinuitäten stehen abrupten Abbrüchen gegenüber. Körper verlieren ihren logischen Zusammenhalt, es finden Überlagerungen statt, Gegenständliches wird überwuchert von Farbe, die keine Form benennt, strukturiert, dann wieder chaotisch und immer wieder sind es auch rätselhafte Begegnungen der Bildobjekte untereinander, die verwundern und in den Bann der Betrachtung leiten. Das Material Farbe, das sich immer wieder selbst entäussert, als Flecken, als Schlieren und Tupfen, oder als ineinander verlaufende amorphe Gebilde, ist in ihrer physischen Anwesenheit gleichwertig zum Motiv der Darstellung. Die Räume, in denen die Begegnungen verschiedener Wesen stattfinden, verraten ihren Ort nicht – oder eher – dieser Ort ist die Malerei selbst, das Zusammenkommen und Ausbreiten von Farbe, in ihrer Durchmischung immer abstrakt , stellt sich gegenüber zu konkreten Formen.
Bilder, und gerade in den Medien der Malerei und Zeichnung realisiert, sind immer auch Spur und Zeugnis von Bewegung und von in Form gebrachtem Material. Sie eröffnen, vor unsere Augen kommend, neue Dimensionen, verdinglichen existentielle Sphären unseres menschlichen Seins. Bild - Realisierungen ernähren sich aus unterschiedlichen Zugängen zu Welten, die menschliches Dasein ausmachen. Es ist immer wieder diese Fläche, die besetzt wird von sich zueinander verhaltener Entitäten, die in das Format gesetzt und darüber hinaus über dessen Ränder hinweg expandieren in jenen Raum hinein, wo wir uns befinden mit unserem Körpervolumen und dessen Grenze, der Haut, und mit unserer gesamten bewussten Aufmerksamkeit sowie den nicht bewussten Dispositionen, den abgelagerten Erinnerungen, Hoffnungen, Träumen und Ängsten, sinnlichen Erfahrungen, Gerüchen, Abdrücken, Abschürfungen, und Heilungen, eingeschrieben in unsere Zellen.
Serz’ künstlerische Arbeiten appellieren an diese ständige Begegnung und Durchmischung unserer Wahrnehmung und unseres Bewusstseins mittels jener anderen Realitäten, die nur in Bildschöpfungen eine Äusserung finden können. Die hier in Bildern anzutreffenden Verschlingungen geschehen auf unterschiedlichen Ebenen und artikulieren in vielfältiger Weise immer neue Gefüge und Verästelungen. Die Komplexität der Bilder geschieht mittels der Dichte der Darstellung sowie der Möglichkeit einer Weiterführung dieser vorgestellten Geschichten in der eigenen Imagination.
Die gemalten und gezeichneten Bilder von Kerstin Serz geben in ihrer Verankerung im abendländischen Bildschaffen Anlass zu einem Exkurs über Bildgeschehen, die in ihrer Thematik durch Epochen hindurch verschiedene Maler und Bildhauer zu Darstellungen angeregt hat: Die Begegnung von Natur und Mensch, die physisch so weit geht, dass eine buchstäbliche Verwandlung stattfindet. Ovid’s Metamorphosen dienten in vielfältiger Weise als narrative Grundlage bildlicher Äusserungen und benennen diverse Formen der Transformation von Mensch, Tier und Pflanze – wobei die Art und Weise des Verwandlungsaktes dann in statischen Werken Verschmelzung und Trennung gleichzeitig formuliert und so ein Divergieren von Kräften zeigt. In diesem zeitgleichen Zustand des `nicht mehr` und `noch nicht,` dem Akt der Transformation eines Seinszustandes liegt ein inhärentes Moment der Bedrohung und Faszination, des Verlusts und Neubeginns. Es ist ein Reiz, der dem Uneindeutigen gegeben ist, ein Schwebzustand zwischen den Welten, der das Rationale des Menschen und die Urformen des Wachsens und Ausuferns der Natur zusammendenkt. Machtverhältnisse von Beherrschendem und Unterworfenem zwischen Natur und Mensch werden hier in eine Kommunikation gebracht, innerhalb derer Harmonie der Kräfte genauso Platz hat, wie der Duktus des Unheimlichen der Natur und das Bizarre des Menschen. Erotische Spannung wird erzeugt. Natur wird zum Teil, Spiegel und Widerpart eines Geschehens, dessen Akteur sie gleichsam ist. Der Mensch wird seiner eingebildeten Autonomie beraubt.
Die Wesenhaftigkeit von Mensch, Tier und Pflanze ist jeweils anders verortet und unterliegt doch jeweils dem Gesetz der Lebendigkeit. Umso eklatanter erscheint im Bild die Arretierung des bewegten Veränderns. Besonders frappant sind hierzu Darstellungen des Barock; dramatische Inszenierungen von Bewegung und Transformation werden in statischen Bildern erfahrbar. Der Zustand des Bildgeschehens zeigt so immer einen zum Erstarren gebrachten Prozess des im Werden begriffenen. Das im Bild verdinglichte Anhalten des Zeitverlaufs ermöglicht die Sichtbarkeit der Veränderung als manifesten Zustand.
Diese spannungsgeladene Unauflösbarkeit von Zeitstarre und dargestellter prozessualer Zeitdimension ist ein Aspekt, der in den Bildern von Kerstin Serz relvant ist. Energetische Kraft und Handlung wird in dem Zusammenkommen unterschiedlicher Wesen produziert. Die teils abhanden gekommene Eindeutigkeit von Zuordnungen der Figurenfragmente, die ungewohnten Grössenverhältnisse von Blüten, Früchten, Figuren, sowie die Begegnungen unterschiedlichster Protagonisten und Verschränkungen von Natur und Mensch werden an differenten Orten und in unterschiedlichen Akten vollzogen. Oftmals liegen die Figuren, sind kauernd, schlafend, schwebend in einem Zustand der Unbewusstheit, innerlich in einem noch anderen Raum als dem Bildraum verweilend, als wären sie auch immer ein Stück weit nicht dort, wo sie hinein plaziert sind. So wird eine doppelte Bildhaftigkeit in den Arbeiten evoziert: Der Ort nachvollziehbarer Gegebenheiten, ein Ausschnitt einer kreierten Natur, welcher oft als ein mystischer, eben auch uneindeutiger Ort erscheint, und die projizierten Vorstellungsräume der jeweiligen Bild – Figur werden miteinander in die Fläche gebracht. Oftmals sind die Figuren einzeln im Bild. Das Gegenüber ist ein Tier mit Pflanzenansammlungen, und dann ist es der malerische Grund selbst, der nuancenreich und virtuos gestaltet diese sichtbare Realität bricht und malerische Gestik als Bildmotiv hervorstellt. Die Begegnungen geschehen mit einer Auswahl von bestimmten Gestalten: Schmetterlinge, Falter, Vögel und Pferde gehören zu den Auserwählten, es passiert meist eine eins zu eins Begegnung von Mensch und Tier.
Überdimensional gross umspannt in „Nachtflug“ ein Falter das Format am oberen Bildrand. Unter seinen Flügeln senkt es sich, wie Sternestaub, weiss Gesprenkeltes auf den von Blättern umfangenen jungen Mann hinab. Das Bild „You can’t say I’m not trying“ zeigt eine Figuration von Pferd und Reiter, wobei die indianisch anmutende Figur selbst Züge von einem Flügelwesen zeigt. Das Pferd in dunkler Umgebung stehend, unter ihm aus Wasserspiegelungen hervorbrechende gelbe Sumpfblüten, verharrt demütig. Der menschliche Reiter vereint animalische Kräfte in verschwenderischen Farbflüssen, die das Pferd in seiner glatt-weichen Darstellungsweise zu einer anderen Welt als seine Umgebung zuordnen lässt. Surreale Formationen sind immer wieder Thema in den Bildern von Kertin Serz. „Am orangenen See“ zeigt ein küssendes Paar auf einem Steg, umrankt von Magnolienblüten, der männliche Oberkörper ist oval geöffnet, ein Einblick in einen weiteren Garten, eine Treppe, der Verweis zu einer anderen Dimension wird aufgetan. Die Beine der Figuren fehlen, so wie in der Pastellzeichnung „Tacca“ der Kopf der Figur sich nicht nur in den davor quellenden Blüten versteckt – er ist gar nicht da, man sucht ihn betrachtend vergebens. Das Grossformat „Schneeschmelze“ widmet sich der Darstellung eines Liebesaktes zwischen Körpern, die gleichsam sich auflösen und im Weiss verlieren. Der Rücken des Mannes ist flaches Drachenbild und Haut gleichzeitig. Es sind diese Intensitäten von An – und Abwesenheit physischer Konsistenz, die Brüche und Bezüge, die gleichsame Ballung und Auflösung formaler Einheiten, welche den Bildern der Künstlerin Kerstin Serz sehr aussergewöhnliche und starke Wirkmacht verleihen. Schmetterlinge, selbst aus einem anderen Leben kommend, und Pferde, in ihrem ursprünglich wilden Dasein durch Domestizierung in ihrem Wesen verändert, und Vögel, von Menschen beneidet ob ihrer einzigartigen Fähigkeit zur Durchkreuzung des Luftraumes, sind Protagonisten innerhalb dieser gemalten und gezeichneten Schöpfungen. Ihrem eigenen Bauplan folgend sind es die Pflanzen, die unabhängig Wege in den Lebensraum und hier in den Bildraum einfordern.
In ihrer Rätselhaftigkeit öffnen die Bilder der Künstlerin Kerstin Serz Räume, wie es der Malerei gegeben ist: Illusionen, Verschiebungen, Artikulationen von Möglichkeiten, die absurd und gleichsam nachvollziehbar in ihrer Sichtbarkeit und dem, was mittels Sichtbarkeit evoziert wird sind, nämlich ein Erleben vielleicht erahnter Zustände, die sich jeglicher Erklärung entziehen. Wir erleben hier Begegnungen, die uns in umfassender Weise den Horizont dessen erweitern, was wir Realität nennen.